Natur, am Ende

Am Ende, meint Terje Isungset, könne er seine Instrumente trinken. Dann lächelt er dieses norwegische Lächeln, dem man nicht genau ansieht, wie sehr sich Charme, Ernst und Ironie untereinander die Waage halten. Jedenfalls setzt er während des Eröffnungskonzerts des Festivals Out Of The Box 2020 sein Ice Horn mehrfach ab, um sich das Wasser aus dem Gesicht zu wischen. Das gehört zum Konzept der Vergänglichkeit, der Nachhaltigkeit, das den eigentlichen Kern seiner Faszination für Instrumente aus Eis bildet. Sicher, da ist der Klang, ungewöhnlich, stellenweise erdenfern, auf dem Dach des Hoch5 von Alse Karstad in gewohnt perfekter Manier gerade richtig laut und räumlich transparent verstärkt. Da sind die Variationen mit Hörnen, einer Harfe, Kontrabass und verschiedenem Schlagwerk aus Eis, die durchaus überraschende Nuancen und Farben generieren.

Aber das ist nur die Oberfläche. Für Terje Isungset geht es letztlich ums Ganze, um die Natur als vielfältige Ressource für die Phantasie des Menschen und um den verantwortungsvollen, auch ehrfürchtigen Umgang damit. Sein Mittel ist die Eismusik, spektakulär genug, um Menschen aus den Sesseln zu heben und sie in Konzerte zu bewegen, eine Kunst, die sich eher mit Stimmungen und Schwebungen, mit kammermusikalischen Fächerungen beschäftigt, als mit Virtuosität zu protzen. Seine Botschaft ist die Achtsamkeit, weitab der Modetrends, das Bewusstsein, dass der Mensch nur mit sich im Reinen sein kann, wenn er es auch mit der Natur ist. Terje Isungset kommt dieser Idee als Künstler recht nahe. Er vermittelt sie über das Wochenende hinweg außerdem in Workshops und weiteren Konzerten. Es ist auch ein Grund, womöglich der eigentliche, weswegen er lächelt.

Text und Bild: Ralf Dombrowski

Link: http://www.outofthebox.art/

Naturgewalten, Kunsterleben

Eis hat seine Grenzen. Es ist nicht nur so vergänglich, dass die Techniker nach dem Konzert die Klangskulpturen und Instrumente in Folie verpacken und flugs in den Kühltrailer verfrachten. Es ermöglicht auch nur die Klänge, die ihm strukturgegeben bereits innewohnen. »Versteh mich nicht falsch,« erklärt der Trompeter und Eishornspieler Arve Henriksen. »Aber die Eismusik, die wir machen, ist eigentlich eher eine Installation. Denn aus der Perspektive des Musiker bieten beispielsweise die Eishörner wenig Variationsmöglichkeiten. Man muss mit der Stimmung arbeiten, die sie haben, es gibt keine Ventile, insofern hat das Ganze eher etwas Statisches. Aber das ist auf der anderen Seite auch der Reiz daran. Denn es geht um Atmosphären, um die Klangentfaltung, weniger um die Sololeistungen eines Einzelnen.«

Wie das klingt, konnte man gestern schon im mehrstöckigen Konzertatelier des München Hoch5 erleben. Wegen starker Böen in Windeseile von der Dachterrasse in den Innenraum umgezogen, entwickelte die Musik eine andere Faszination als am Vorabend, als der Auftakt des Out Of The Box Festivals im Schneegestöber unter freiem Himmel stattfand. Das von den norwegischen Weiten in die Stadt transferierte optisch-akustische Naturerleben verwandelte sich in eine klingende Meditation mit ausgeprägtem Kunstcharakter. Eigentlich etwas völlig anderes und doch klar verwandt mit der Wildheit des Eröffnungskonzerts. Arve Henriksen hatte außerdem beschlossen, trotz Eis und Elektronik auch seine Trompete einzusetzen. Und das wiederum passte auf seine Art perfekt zum Gedanken einer fluoreszieren, schillernden Installation. Denn der Norweger experimentiert selbst seit langem mit der Ausweitung der Soundgrenzen seines Instruments. Und sein gehauchter, manchmal wie eine Shakuhatchi klingender, dezent eingesetzter Trompetenton hätte auch von einem anderen Stern kommen können.

 

Text und Foto (Arve Henriksen mit Eishorn beim In-Door-Konzert): Ralf Dombrowski

Festival: Out Of The Box

Facebook: Out Of The Box auf Facebook

Instagram: Out Of The Box auf Instagram

Handschuhe, Schneeflocken

Schneegestöber, verschärfte Bedingungen, wenn auch nicht so schlimm wie bei anderer Gelegenheit. »Im vergangenen Jahr habe ich mit Terje in Norwegen gespielt«, meint der schwedische Bassist Anders Jormin. »Minus 28 Grad. Einen Moment habe ich nicht aufgepasst und die Hand für zehn Sekunden am Griffbrett gelassen. Dabei sind die Finger angefroren. Das ist zwar wieder geheilt, aber der Körper erinnert sich an solche Erlebnisse. Wenn es dann beim nächsten Mal kalt ist, passiert so etwas viel schneller. Ich sollte eigentlich mit Handschuhen spielen.« Überhaupt ist es erstaunlich, dass Jormin für die Auftritte mit seinem norwegischen Extremmusikerkollegen auf sein angestammtes Instrument verzichtet. Schließlich wird der langjährige Stammbassist der Bobo Stenson Trios, den gerne auch Koryphäen wie Charles Lloyd oder Dino Saluzzi in ihre Projekte laden, zu den Meistern der klanglichen Feindifferenzierung, dessen voller, ausgreifender Ton zum Markenzeichen geworden ist.

Aber letztlich geht es genau um dieses Jonglieren mit Farben, die sich Saiten entlocken lassen. Denn das Eisinstrument, das Eric Mutel und sein Team für Jormin gebaut haben, reagiert so grundlegend anders als das Pendant aus Holz, so dass gerade in diesem Wechselspiel von Natur und Elektronik neue, ungewohnte Soundsphären entstehen. Im Fall der Ice Music gehört dazu auch der Licht- und Klangdesigner Asle Karstad, der den vergänglichen Instrumenten durch seinen präzisen Einsatz von elektronischen Erweiterungen zusätzliche Räume erschließt. Und so macht sich Anders Jormin gerne auf den Weg, um auf dem Dach von Werk 5 über das Wochenende verteilt Konzerte zu spielen. Das nächste, nach der Familienrunde am Nachmittag, heute Abend. Wenn es sein muss, dann zieht er eben Handschuhe an, und lässt sich vom Miteinander von Klang und Licht, Flocken und Flow der Musik treiben.

 

Text und Foto (Anders Jormin bem Ausprobieren seines Instruments): Ralf Dombrowski

Festival: Out Of The Box

Facebook: Out Of The Box auf Facebook

Instagram: Out Of The Box auf Instagram

Kettensägen, Bügeleisen

Seit Tagen parkt ein Kühllaster vor der Tür. Auf der Rampe vor dem Werk 3 und auf dem Dach von Werk 5 sägen, schnitzen, modellieren ebenfalls seit Mitte der Woche mehrere Künstler und der Eismusiker selbst, um zum Festivalstart alles parat zu haben. »Manches kann ich aus Norwegen mitnehmen«, meint Terje Isungset, unbeeindruckt von der Kälte und mit einem Schmunzeln im Gesicht. »Aber viele Instrumente bauen wir vor Ort. Und daher bin ich immer sehr an lokalem Eis interessiert, denn künstliches Eis klingt nicht. Der Jahrgang 2013 zum Beispiel war ziemlich gut, damit kann ich viel machen«. Wirkt skurril, aber Terje Isungset ist ein Pionier der Nische, der weiß, was er macht. Seit rund zwei Jahrzehnten musiziert er mit der Kälte und konstruiert in diesem Fall einen Eis-Kontrabass ebenso wie verschiedene Hörner, Trompeten, Schlagwerke. Das ist spektakulär, nicht nur für das Publikum, sondern auch für die Organisatoren.

»Wir sind uns durchaus seltsam vorgekommen«, erinnert sich Martina Taubenberger, die künstlerische Leiterin der whiteBOX, die sich das Out Of The Box Festival ausgedacht hat. »Als wir mit unserer Bestellliste von 6 Tonnen Eis, 50 Metern massiver PVC-Plane, 3 Kettensägen und 2 Bügeleisen ankamen, zuzüglich 9.000 Liter Wasser für das Projekt Aquasonic, wirkte das eher wie der Auftakt zu einem Kettensägenmassaker, als zu einem Festival.« Aber inzwischen ist das meiste für das Wochenende mit der Eismusik verbaut und der Adrenalinpegel vor dem Festivalstart kann sich ein klein wenig senken. Die Zulieferer haben es durch die Schneemassen geschafft, die Künstler sind angekommen. An den letzten Verbindungen der Licht- und Soundtechnik wird geschraubt und der Eisbildhauer Eric Mutel hat seine Stelen um das Konzertgelände auf dem Dach von Werk 5 herum aufgebaut. Das Wetter ist gnädig, schickt keinen Fön ins Land und verspricht stattdessen stilechten Schneefall. Out Of The Box kann beginnen und wer zuhören, zusehen will, sollte ich warm anziehen.

Text und Bild (Martina Taubenberger, Terje Isungset): Ralf Dombrowski

Festival: Out Of The Box

Facebook: Out Of The Box auf Facebook

Instagram: Out Of The Box auf Instagram