Mythen, Optionen

Beherzt greift Eric Mutel zur Motorsäge und schneidet die Stelen seiner Eis-Foto-Installation in Stücke. Ein Künstler ohne sentimentale Züge, aus Prinzip. Denn Vergänglichkeit ist ein Grundimpuls seines Konzepts: »Traurig bin ich nicht. Es gehört zu meiner Arbeit, dass die Dinge sich verändern. Wenn sie jetzt wegschmelzen und verschwinden, ist das ein Teil, das zu der Installation gehört. Deshalb fasziniert mich auch Eis als Werkstoff. Es ist hart und weich, ein widersprüchliches Material, dem man die Zeit ansieht. Ich experimentiere seit zwanzig Jahren damit, erst in kleinem Rahmen, dann immer größer. Ich arbeite auch mit anderen Materialien, meistens mit großen Installationen. Es gibt außerdem Projekte, die gar nichts mit Eis oder Ähnlichem zu tun haben, Videos zum Beispiel. Oder ich konzipiere Installationen mit Holz oder Stein. Wichtig sind mir jedoch immer der Kontrast und die Balance des Materials, wie es mit- und gegeneinander wirkt.«

Da passt es, am Ende die über Tage sorgsam hergestellten Fotostelen aus Eis, in deren Innerem eingearbeitete Schwarz-Weiss-Porträts bereits vom Schmelzprozess beeinflusst ihre Form verlieren, auch wieder einzureißen. Der Künstler interagiert mit seinem Werk und sorgt dafür, dass es nur noch in der Imagination besteht. Es schafft Mythen, Optionen, Denkanstöße. Und natürlich hat er auch ein wenig Spaß daran, das zu relativieren, was vorher Bedeutung suggerierte. Luigi Fontana ging mit dem Schwert auf die Leinwand los, Banksy ließ sein Bild durch den Schredder laufen, Eric Mutel dekonstruiert Kunst, indem er ihr ihre Endlichkeit gleich ins Stammbuch schreibt und noch ein wenig nachhilft. Damit ist er konzeptuell auch eine Fortsetzung der Ice Music auf anderer Ebene. Klänge aus Eis auf schmelzenden Instrumenten gespielt, die sich aufgrund der steten Veränderung des Materials nicht reproduzieren lassen. Bilder aus Eis, die ebenso unwiderruflich sich auflösen. Am Ende bleibt die Idee. Schick!

 

Text und Foto (Eric Mutel in Aktion): Ralf Dombrowski

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Naturgewalten, Kunsterleben

Eis hat seine Grenzen. Es ist nicht nur so vergänglich, dass die Techniker nach dem Konzert die Klangskulpturen und Instrumente in Folie verpacken und flugs in den Kühltrailer verfrachten. Es ermöglicht auch nur die Klänge, die ihm strukturgegeben bereits innewohnen. »Versteh mich nicht falsch,« erklärt der Trompeter und Eishornspieler Arve Henriksen. »Aber die Eismusik, die wir machen, ist eigentlich eher eine Installation. Denn aus der Perspektive des Musiker bieten beispielsweise die Eishörner wenig Variationsmöglichkeiten. Man muss mit der Stimmung arbeiten, die sie haben, es gibt keine Ventile, insofern hat das Ganze eher etwas Statisches. Aber das ist auf der anderen Seite auch der Reiz daran. Denn es geht um Atmosphären, um die Klangentfaltung, weniger um die Sololeistungen eines Einzelnen.«

Wie das klingt, konnte man gestern schon im mehrstöckigen Konzertatelier des München Hoch5 erleben. Wegen starker Böen in Windeseile von der Dachterrasse in den Innenraum umgezogen, entwickelte die Musik eine andere Faszination als am Vorabend, als der Auftakt des Out Of The Box Festivals im Schneegestöber unter freiem Himmel stattfand. Das von den norwegischen Weiten in die Stadt transferierte optisch-akustische Naturerleben verwandelte sich in eine klingende Meditation mit ausgeprägtem Kunstcharakter. Eigentlich etwas völlig anderes und doch klar verwandt mit der Wildheit des Eröffnungskonzerts. Arve Henriksen hatte außerdem beschlossen, trotz Eis und Elektronik auch seine Trompete einzusetzen. Und das wiederum passte auf seine Art perfekt zum Gedanken einer fluoreszieren, schillernden Installation. Denn der Norweger experimentiert selbst seit langem mit der Ausweitung der Soundgrenzen seines Instruments. Und sein gehauchter, manchmal wie eine Shakuhatchi klingender, dezent eingesetzter Trompetenton hätte auch von einem anderen Stern kommen können.

 

Text und Foto (Arve Henriksen mit Eishorn beim In-Door-Konzert): Ralf Dombrowski

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