Transformation als Ausblick

Die letzten Festivaltage waren schwer zu greifen. »Digitale Poesie« stand als Motto über dem Finale und die Idee war, Musik im einem über das Natürliche hinausgehenden Fluidum aufgehen zu lassen. Mehr Vorgaben gab es nicht und so näherten sich die Künstler ihrem Gegenstand auf sehr unterschiedliche Weise. Das Duo Puntin/Corral entschied sich für die Kraft des Moments und entwickelte weitgehend spontan aus der improvisierenden Kommunikation heraus eine Klang-Bildrelation mit hohem assoziativem Moment sowohl für die Instrumentalisten wie auch für die Zuhörer. Das Visual Piano des Lichtperformers Kurt Laurenz Theinert hingegen war eine überwiegend mit geometrischen Formen arbeitende Ganzraumprojektion, die die impressionistisch tröpfelnden Töne des Pianisten Martin Stortz mit einem motivisch eher festgelegten Bildrepertoire verknüpfte. Ralf Schmid schließlich vollzog mit Pyanook den Übergang von Mensch und Maschine, vor allem mit Hilfe zweier Datenhandschuhe, deren Bewegungen die Musik beeinflussten.

»Ich nütze diese Handschuhe, indem ich sie beispielsweise mit Effekten belege, die ich dann einsetzen kann«, erläuterte der Pianist, der lange auch in München gelebt hat, sein ungewöhnliches Instrument. »Ich kann auch Tonhören damit steuern, insofern hat es ein wenig vom Theremin«. Michele Locatelli wachte über den künstlerischen Ablauf, Pietro Caradelli fügte intuitive Bildsequenzen hinzu, Schmid selbst agierte mit präpariertem und unpräpariertem Flügel, Laptop und Handschuhen in den Stilfeldern zwischen Improvisation und kompositorischer Festlegung. Pyanook war experimentell, in seiner Eindrucksdichte spürbar ein Work in Progress und damit auch ein programmatischer Abschluss des ersten Out Of The Box Festivals. Denn die whiteBOX versuchte, mit Projekten wie Terje Isungsets Ice Music oder der Unterwassermusik von Aquasonic an die Grenzen der Veranstaltbaren, mit der »Digitalen Poesie« auch des ästhetisch Planbaren zu gehen. Das ist als Konzept weiterhin offen, hat für diese Runde nach beeindruckenden Konzerten einen vorläufigen Schlusspunkt gefunden, ist aber in der nächsten Transformation bereits in Arbeit.

Text und Bild (Ralf Schmid): Ralf Dombrowski

Festival: Out Of The Box

Spiel der Ebenen

Es sind archaische Formen, geometrisch, sich in Farbe auflösend, manchmal intuitiv an existierende Vorbilder anknüpfend. Alba G. Corral erstellt sie spontan, mit Laptop und Touchpad, eine Improvisation der Bilder. Ähnliches machte die spanische Visualistin auch bei einem Festival, als Claudio Puntin spielte. Der Klarinettist und Klanglaborant wusste nichts von seinem Glück und war daher umso überraschter, als er im Nachhinein anhand einer Aufzeichnung merkte, wie komplementär die beiden Ebenen von Musik und Bild sich ergänzten. Aus dem Experiment wurde eine Zusammenarbeit, die unter dem Titel »Inside Density« in der whiteBOX als Auftakt des Festivals-Finales Station machte. Diesmal bewegten sich die beiden Künstler bewusst aufeinander zu, umkreisten sich gestalterisch, kommunizierten und versuchten, aus der Idee eine umfassende synästhetische Erfahrung zu machten.

Es funktionierte, teilweise. Denn während der Klang sich räumlich ausbreiten konnte, blieb das Bild auf die Fläche beschränkt. Corral arbeitete dem entgegen, indem sie ihre Formen sich möglichst fließend auseinander entwickeln ließ. Es entstand eine Illusion fortlaufender Bewegung, die mit dem Klang von Elektronik, verschiedenen Holzblasinstrumenten und Minimalperkussion in Beziehung trat. Da sich Puntin seinerseits auf Texturen, Pulse und überwiegend sphärische Klänge beschränkte, setzen sich die Eindrücke zu einem Ganzen zusammen, dem allerdings als nächster Schritt die optische Ausdehnung ins Räumliche folgen könnte. Möglicherweise bei den noch kommenden Konzerten. Denn auch Kurt Laurenz Theinert und Ralf Schmid sind Künstler, die mit Überschneidungen der Wahrnehmung experimentieren. Sie haben die Abende der »Digitalen Poesie« noch vor sich.

Text und Bild (Alba G. Corral): Ralf Dombrowski

Festival: Out Of The Box

So vieles im Sinn

Die Konzerte hatten etwas Unwirkliches. Denn das eine ist das Konzept, das etwas Umfassendes, Umarmendes schaffen will, eine Verbildlichung und Verklanglichung des menschlichen Eingebundenseins in ein universales Medium. Die ästhetische Wirkung von Aquasonic ging jedoch deutlich darüber hinaus. Musiker, die in durchsichtigen, gespenstisch geschickt beleuchteten Wassertanks agieren, knüpfen an eine Vielzahl von Assoziationsoptionen an. Unbewusstes kommt ins Spiel, Voyeuristisches, Ätherisches, Surreales, auch Brutales. Man kann es als Meditation verstehen, als Sinnbild der Entschleunigung, aber auch der Isolation, der Verinnerlichung, der Entgrenzung. Das betrifft sowohl die optische, wie die akustische Seite. Denn auch der Klang ist gedämpft, verändert, höhenreduziert und knüpft an Empfindungen an, die für den einen bis ins Pränatale, für den anderen bis zu Effekten der Schwerhörigkeit reichen können.

Die eigentliche Musik wird im Zusammenhang der Deutungs- und Empfindungsebenen beinahe nebensächlich. Natürlich ist es eine Herausforderung, im Wasser zu singen, und erfordert spezielle Atem- und Resonanztechniken. Da schnelle, hörbare Signale unter Wasser nur schwer möglich sind, bekommen die über die Mikrophone in den Luftraum transportieren Klänge etwas Magma-Artiges, als hätte man das Prinzip einer Lavalampe auf Instrumente übertragen. Das Spektrum ist auf wenige Töne reduziert, die vom Between-Music-Team zumeist linear, selten überlagernd produziert werden. Jeweils rund eine Stunde lang experimentieren sie am Wochenende insgesamt fünfmal auf der Basis der Kompositionen von Laila Skovmand mit den Möglichkeiten musikalischer Retardierung, auch da in der Wirkung rätselhaft archaisch. Aber genau das war die Herausforderung dieser ungewöhnlichen Out Of The Box Konzerte für das Publikum, das sich in der abgedunkelten whiteBOX während der Performances sogar im Raum bewegen konnte. Ein Blick in Sphären jenseits des Gewohnten, irritierend, anregend. Konzerte zum Weiterdenken.

Text und Foto: Ralf Dombrowski

Festival: Out Of The Box

Klang und Tank

Menschen, isoliert voneinander in durchsichtigen Wassertanks. Sie machen Musik, verbunden nur über Miniatur-Kopfhörer, die den Kontakt zu den anderen Gefäßen herstellen. Die Klänge wiederum wirken weit entfernt, obwohl sie in unmittelbarer Nähe produziert werden. Ein widersprüchliches, rätselhaftes Setting, das Laila Skovmand auch nach Jahren noch begeistert. „Alles kommt aus dem Wasser“, schwärmt die dänische Sängerin und Performance-Künstlerin. „Es ist etwas, das uns alle betrifft. Ein Eins-Sein mit der Umwelt, die uns vollständig umgibt. Am Anfang habe ich nur mit vier Tönen experimentiert, inzwischen sind mehr dazu gekommen. Es war ein langer Lernprozess, was im Wasser funktioniert.“ Und was nicht. Denn das umgebende Medium verändert die Klangerscheinung zum Teil erheblich. Der Schlag auf eine Derbouka zum Beispiel, an der Luft ein hohes, peitschendes Geräusch, wird unter Wasser zu einem tiefen Grummeln, mehr einem Herzton ähnlich als dem Beat einer Trommel. Manche Instrumente mussten gar erst erfunden werden, ebenso das Konzept des Komponierens für Stücke unter Wasser.

Außerdem muss man spielen lernen, atmen, irritierende Gefühle verscheuchen, die das Gehirn automatisch sendet, wenn ein Mensch länger als ein paar Augenblicke untertaucht. Yoga hilft beispielsweise, die Körper-Geist-Balance zu halten, um das Projekt Aquasonic durchzuführen. Und Laila Skovmand hat mit Between Music ein geschultes Ensemble, das mit diesen besonderen Voraussetzungen umgehen und ihre Kompositionen kompetent umsetzen kann. Die Gastspiele am Wochenende in der whiteBOX sind allerdings auch für die performance-erprobten Künstler eine Herausforderung. Denn diesmal stehen sie nicht auf einer Bühne, sondern sind mitten im Raum verteilt. Die Zuhörer können um die Tanks herumgehen und den Klang aus wechselnden Perspektiven erleben. Sie tauchen selbst in eine Welt ein, die sich grundlegend von üblicher Musikerfahrung unterscheidet. Ein Kosmos unerprobter Empfindungen, unbekannter Schwingungen. Ein Experiment, nicht nur für die Musiker in den Tanks.

Text und Foto (Aquasonic mit Gründerin Laila Skovmand): Ralf Dombrowski

Festival: Out Of The Box

Lied für die Welt

Der Schnee spielte mit, anders als gedacht. Ursprünglich sollten Schülerinnen und Schüler des Berchtesgadener Gymnasiums nach München kommen, um mit Fraser Trainer ihren Teil der Komposition „Pastorale re/visited“ zu erarbeiten. Doch dann begrub die weiße Pracht den Alpenort, die Busse konnten nicht starten. Fraser plante um und arbeitete gleich mit Schülerinnen und Schülern der Münchner Hermann-Frieb-Realschule, die als zweite Gruppe an dem Projekt beteiligt waren. Als Mitte der Woche Schnee-Entwarnung kam, konnte endlich zusammen geprobt werden, schließlich sollte ein Konzert entstehen, das am Sonntag Nachmittag in der whiteBOX uraufgeführt wurde. Eine Kooperation des Education-Zweiges des Symphonieorchesters des Bayerische Rundfunks mit dem Haus der Berge / Nationalpark Berchtesgaden und whiteBOX.art, ganz im Sinne der Beethoven’schen Naturbegeisterung, die der Meister vor mehr als 210 Jahren in seiner 6.Sinfonie, der „Pastorale“, umsetze.

„Auf den ersten Blick klingt das etwas missverständlich“, meint Fraser Trainer, der als freischaffender Komponist aus der südenglischen Region Brighton für das Projekt angereist war. „Wir wollten keine Melodien von Beethoven neu vertonen, sondern uns von dem Konzept inspirieren lassen, Musik zu entwickeln, die sich mit Natur beschäftigt, in diesem Fall mit den Folgen des Klimawandels“. Die beiden Schulensembles setzten daher nicht auf traditionelles Motivinventar, sondern spielten mit Stimmungen, Geräuschen ebenso wie mit Songelementen, Rhythmisierungen, Dynamikkontrasten, den vielen Möglichkeiten eben, Fließendes, Dramatisches, Vereinendes klanglich zu machen. Von Videoprojektionen unterstützt, endete „Pastorale re/visited – Klimawandel hören“ allerdings dann doch sehr typisch in einem Schluss-Chor, bei dem das Publikum mitsingen konnte. Viel Lob im Anschluss an die Aufführung. Die Zuhörer waren beeindruckt, die Hommage an die Natur war geglückt. Trotz Schnee im echten Leben.

Text und Foto (Fraser Trainer dirigiert Schlussakkord): Ralf Dombrowski

Festival: Out Of The Box

Dance, Dance, Jazz

Ein bisschen kurz vielleicht. Denn die Logik einer Dance Night speist sich auch aus der Idee, dass sich Musik über einen Abend hinweg entwickelt, aufbaut, um sich dann möglichst lang am Gipfelpunkt der Energie zu halten. Insofern ging es richtig los, als das Techno Jazz Sextett Slatec sich nach einer Dreiviertelstunde so gegen Mitternacht warm gespielt hatte, straight im Groove, mit zwei um Gesang und Posaune ergänzten Schlagzeugern, Perkussion und Bass klar am Zentrum der Körperlichkeit orientiert. Aber der Zeitplan reichte nur bis zu diesem Punkt, durchaus mit Hintersinn, denn das Out Of The Box Festival ist keine Blaupause des Clublebens, sondern ein Wegweiser der Impulse. Hier geht es lang, da kann man reinschauen, dort sich inspirieren lassen! Macht selbst weiter, die Tür ist geöffnet!

Auf diese Weise passte der ganze Abend gut zusammen. Denn vor Slatec teilten zwei weitere Bands das gleiche Konzept der Konzentration auf die Kraft des Moments. Organ Explosion beispielsweise kümmerten sich um die Reanimation eines Bandkonzepts aus den Sechzigern und sie hatten hörbar Spaß daran. Zum einen war es ein Nostalgieprogramm, das bis hin zum Shadows-Ohrwurm „Apache“ reichte, der mit eine Prise rhythmischen Humors aufgefrischt wurde. Auf der anderen Seite hatte es aber die Zeitlosigkeit des Lässigen, die mit viel popswingendem Nachdruck präsentiert wurde. Ark Noir als Opener ließen sich wiederum von der Mischung aus fusionjazziger Direktheit und klangeffektvoller Dramaturgie treiben. Ähnlich wie bei Slatec legten sie vor allem Fährten, die weiter in den Dschungel der Intensität führten. Man muss wiederkommen, bei nächster Gelegenheit. Die Anfänge sind gemacht.

Text und Foto (Ark Noir im Einsatz): Ralf Dombrowski

Festival: Out Of The Box

Eine Frage der Haltung

Jahrzehntelang war Konsens: Wer ein guter Jazzer werden wollte, sollte zunächst das Werk der Helden studieren. Das hatte seinen Sinn, führte aber auch dazu, dass Kohorten von Epigonen ausgebildet wurden, die eben klangen wie die Alten. Dann kamen die Nullerjahre mit zahlreichen Tendenzen der Relativierung und auch der Einsicht, dass junge Musiker längst nicht mehr mit Bebop sozialisiert wurden sondern mit Metal, Grunge oder auch Techno. Zeitverzögert sorgte diese Entwicklung dafür, dass einerseits an sich archaische Ensembleformen wie die Big Band wieder an Beliebtheit gewannen, sie aber andererseits mit neuen Inhalten gefüllt wurden. Gerade München preschte nach vorne mit Ensembles wie dem BamesreiterSchwartzOrchestra, den verschiedenen Projekten um die Bandleaderin Monika Roscher, dem Klassik-Crossover des Verworner-Krause-Kammerorchesters oder der Jazzrausch Bigband um den Posaunisten Roman Sladek.

Solche junge Großformationen haben mehrere Effekte. Zunächst arbeiten sie am Neuverständnis eines vorhandenen Sounds, vor allem aber sind sie Kollektive, aus denen sich viele weitere kleinere Bands entwickeln können. Eine davon ist Slatec, ein Septett, das die Idee der Techno-Dramaturgie mit Improvisation und einer pfiffigen Kombination von Natursounds und Klangeffekten verknüpft. Sie ist Teil drei der Dance Night im Technikum, die im Rahmen des Out Of The Box Festivals markante Projekte der heimischen Musikwelt in die Halle holt. Nummer zwei ist die Organ Explosion um den Hammond-Spezialisten Hansi Enzensperger, die sich mit viel Groove und Chuzpe dem Soul à la Sechziger, aber auch zeitnaheren Impulsen widmet. Ark Noir schließlich greifen in die Fusion-Kiste und bringen den Esprit des Jazzrocks mit Indie Sound und Electronics zusammen. Dreimal Musik, die sich nicht um Konventionen schert. Und die tanzbar aus dem Rahmen fällt.

Text und Foto (Roman Sladek im Chill-Modus): Ralf Dombrowski

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Mythen, Optionen

Beherzt greift Eric Mutel zur Motorsäge und schneidet die Stelen seiner Eis-Foto-Installation in Stücke. Ein Künstler ohne sentimentale Züge, aus Prinzip. Denn Vergänglichkeit ist ein Grundimpuls seines Konzepts: »Traurig bin ich nicht. Es gehört zu meiner Arbeit, dass die Dinge sich verändern. Wenn sie jetzt wegschmelzen und verschwinden, ist das ein Teil, das zu der Installation gehört. Deshalb fasziniert mich auch Eis als Werkstoff. Es ist hart und weich, ein widersprüchliches Material, dem man die Zeit ansieht. Ich experimentiere seit zwanzig Jahren damit, erst in kleinem Rahmen, dann immer größer. Ich arbeite auch mit anderen Materialien, meistens mit großen Installationen. Es gibt außerdem Projekte, die gar nichts mit Eis oder Ähnlichem zu tun haben, Videos zum Beispiel. Oder ich konzipiere Installationen mit Holz oder Stein. Wichtig sind mir jedoch immer der Kontrast und die Balance des Materials, wie es mit- und gegeneinander wirkt.«

Da passt es, am Ende die über Tage sorgsam hergestellten Fotostelen aus Eis, in deren Innerem eingearbeitete Schwarz-Weiss-Porträts bereits vom Schmelzprozess beeinflusst ihre Form verlieren, auch wieder einzureißen. Der Künstler interagiert mit seinem Werk und sorgt dafür, dass es nur noch in der Imagination besteht. Es schafft Mythen, Optionen, Denkanstöße. Und natürlich hat er auch ein wenig Spaß daran, das zu relativieren, was vorher Bedeutung suggerierte. Luigi Fontana ging mit dem Schwert auf die Leinwand los, Banksy ließ sein Bild durch den Schredder laufen, Eric Mutel dekonstruiert Kunst, indem er ihr ihre Endlichkeit gleich ins Stammbuch schreibt und noch ein wenig nachhilft. Damit ist er konzeptuell auch eine Fortsetzung der Ice Music auf anderer Ebene. Klänge aus Eis auf schmelzenden Instrumenten gespielt, die sich aufgrund der steten Veränderung des Materials nicht reproduzieren lassen. Bilder aus Eis, die ebenso unwiderruflich sich auflösen. Am Ende bleibt die Idee. Schick!

 

Text und Foto (Eric Mutel in Aktion): Ralf Dombrowski

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Naturgewalten, Kunsterleben

Eis hat seine Grenzen. Es ist nicht nur so vergänglich, dass die Techniker nach dem Konzert die Klangskulpturen und Instrumente in Folie verpacken und flugs in den Kühltrailer verfrachten. Es ermöglicht auch nur die Klänge, die ihm strukturgegeben bereits innewohnen. »Versteh mich nicht falsch,« erklärt der Trompeter und Eishornspieler Arve Henriksen. »Aber die Eismusik, die wir machen, ist eigentlich eher eine Installation. Denn aus der Perspektive des Musiker bieten beispielsweise die Eishörner wenig Variationsmöglichkeiten. Man muss mit der Stimmung arbeiten, die sie haben, es gibt keine Ventile, insofern hat das Ganze eher etwas Statisches. Aber das ist auf der anderen Seite auch der Reiz daran. Denn es geht um Atmosphären, um die Klangentfaltung, weniger um die Sololeistungen eines Einzelnen.«

Wie das klingt, konnte man gestern schon im mehrstöckigen Konzertatelier des München Hoch5 erleben. Wegen starker Böen in Windeseile von der Dachterrasse in den Innenraum umgezogen, entwickelte die Musik eine andere Faszination als am Vorabend, als der Auftakt des Out Of The Box Festivals im Schneegestöber unter freiem Himmel stattfand. Das von den norwegischen Weiten in die Stadt transferierte optisch-akustische Naturerleben verwandelte sich in eine klingende Meditation mit ausgeprägtem Kunstcharakter. Eigentlich etwas völlig anderes und doch klar verwandt mit der Wildheit des Eröffnungskonzerts. Arve Henriksen hatte außerdem beschlossen, trotz Eis und Elektronik auch seine Trompete einzusetzen. Und das wiederum passte auf seine Art perfekt zum Gedanken einer fluoreszieren, schillernden Installation. Denn der Norweger experimentiert selbst seit langem mit der Ausweitung der Soundgrenzen seines Instruments. Und sein gehauchter, manchmal wie eine Shakuhatchi klingender, dezent eingesetzter Trompetenton hätte auch von einem anderen Stern kommen können.

 

Text und Foto (Arve Henriksen mit Eishorn beim In-Door-Konzert): Ralf Dombrowski

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Handschuhe, Schneeflocken

Schneegestöber, verschärfte Bedingungen, wenn auch nicht so schlimm wie bei anderer Gelegenheit. »Im vergangenen Jahr habe ich mit Terje in Norwegen gespielt«, meint der schwedische Bassist Anders Jormin. »Minus 28 Grad. Einen Moment habe ich nicht aufgepasst und die Hand für zehn Sekunden am Griffbrett gelassen. Dabei sind die Finger angefroren. Das ist zwar wieder geheilt, aber der Körper erinnert sich an solche Erlebnisse. Wenn es dann beim nächsten Mal kalt ist, passiert so etwas viel schneller. Ich sollte eigentlich mit Handschuhen spielen.« Überhaupt ist es erstaunlich, dass Jormin für die Auftritte mit seinem norwegischen Extremmusikerkollegen auf sein angestammtes Instrument verzichtet. Schließlich wird der langjährige Stammbassist der Bobo Stenson Trios, den gerne auch Koryphäen wie Charles Lloyd oder Dino Saluzzi in ihre Projekte laden, zu den Meistern der klanglichen Feindifferenzierung, dessen voller, ausgreifender Ton zum Markenzeichen geworden ist.

Aber letztlich geht es genau um dieses Jonglieren mit Farben, die sich Saiten entlocken lassen. Denn das Eisinstrument, das Eric Mutel und sein Team für Jormin gebaut haben, reagiert so grundlegend anders als das Pendant aus Holz, so dass gerade in diesem Wechselspiel von Natur und Elektronik neue, ungewohnte Soundsphären entstehen. Im Fall der Ice Music gehört dazu auch der Licht- und Klangdesigner Asle Karstad, der den vergänglichen Instrumenten durch seinen präzisen Einsatz von elektronischen Erweiterungen zusätzliche Räume erschließt. Und so macht sich Anders Jormin gerne auf den Weg, um auf dem Dach von Werk 5 über das Wochenende verteilt Konzerte zu spielen. Das nächste, nach der Familienrunde am Nachmittag, heute Abend. Wenn es sein muss, dann zieht er eben Handschuhe an, und lässt sich vom Miteinander von Klang und Licht, Flocken und Flow der Musik treiben.

 

Text und Foto (Anders Jormin bem Ausprobieren seines Instruments): Ralf Dombrowski

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