Klang und Tank

Menschen, isoliert voneinander in durchsichtigen Wassertanks. Sie machen Musik, verbunden nur über Miniatur-Kopfhörer, die den Kontakt zu den anderen Gefäßen herstellen. Die Klänge wiederum wirken weit entfernt, obwohl sie in unmittelbarer Nähe produziert werden. Ein widersprüchliches, rätselhaftes Setting, das Laila Skovmand auch nach Jahren noch begeistert. „Alles kommt aus dem Wasser“, schwärmt die dänische Sängerin und Performance-Künstlerin. „Es ist etwas, das uns alle betrifft. Ein Eins-Sein mit der Umwelt, die uns vollständig umgibt. Am Anfang habe ich nur mit vier Tönen experimentiert, inzwischen sind mehr dazu gekommen. Es war ein langer Lernprozess, was im Wasser funktioniert.“ Und was nicht. Denn das umgebende Medium verändert die Klangerscheinung zum Teil erheblich. Der Schlag auf eine Derbouka zum Beispiel, an der Luft ein hohes, peitschendes Geräusch, wird unter Wasser zu einem tiefen Grummeln, mehr einem Herzton ähnlich als dem Beat einer Trommel. Manche Instrumente mussten gar erst erfunden werden, ebenso das Konzept des Komponierens für Stücke unter Wasser.

Außerdem muss man spielen lernen, atmen, irritierende Gefühle verscheuchen, die das Gehirn automatisch sendet, wenn ein Mensch länger als ein paar Augenblicke untertaucht. Yoga hilft beispielsweise, die Körper-Geist-Balance zu halten, um das Projekt Aquasonic durchzuführen. Und Laila Skovmand hat mit Between Music ein geschultes Ensemble, das mit diesen besonderen Voraussetzungen umgehen und ihre Kompositionen kompetent umsetzen kann. Die Gastspiele am Wochenende in der whiteBOX sind allerdings auch für die performance-erprobten Künstler eine Herausforderung. Denn diesmal stehen sie nicht auf einer Bühne, sondern sind mitten im Raum verteilt. Die Zuhörer können um die Tanks herumgehen und den Klang aus wechselnden Perspektiven erleben. Sie tauchen selbst in eine Welt ein, die sich grundlegend von üblicher Musikerfahrung unterscheidet. Ein Kosmos unerprobter Empfindungen, unbekannter Schwingungen. Ein Experiment, nicht nur für die Musiker in den Tanks.

Text und Foto (Aquasonic mit Gründerin Laila Skovmand): Ralf Dombrowski

Festival: Out Of The Box

Lied für die Welt

Der Schnee spielte mit, anders als gedacht. Ursprünglich sollten Schülerinnen und Schüler des Berchtesgadener Gymnasiums nach München kommen, um mit Fraser Trainer ihren Teil der Komposition „Pastorale re/visited“ zu erarbeiten. Doch dann begrub die weiße Pracht den Alpenort, die Busse konnten nicht starten. Fraser plante um und arbeitete gleich mit Schülerinnen und Schülern der Münchner Hermann-Frieb-Realschule, die als zweite Gruppe an dem Projekt beteiligt waren. Als Mitte der Woche Schnee-Entwarnung kam, konnte endlich zusammen geprobt werden, schließlich sollte ein Konzert entstehen, das am Sonntag Nachmittag in der whiteBOX uraufgeführt wurde. Eine Kooperation des Education-Zweiges des Symphonieorchesters des Bayerische Rundfunks mit dem Haus der Berge / Nationalpark Berchtesgaden und whiteBOX.art, ganz im Sinne der Beethoven’schen Naturbegeisterung, die der Meister vor mehr als 210 Jahren in seiner 6.Sinfonie, der „Pastorale“, umsetze.

„Auf den ersten Blick klingt das etwas missverständlich“, meint Fraser Trainer, der als freischaffender Komponist aus der südenglischen Region Brighton für das Projekt angereist war. „Wir wollten keine Melodien von Beethoven neu vertonen, sondern uns von dem Konzept inspirieren lassen, Musik zu entwickeln, die sich mit Natur beschäftigt, in diesem Fall mit den Folgen des Klimawandels“. Die beiden Schulensembles setzten daher nicht auf traditionelles Motivinventar, sondern spielten mit Stimmungen, Geräuschen ebenso wie mit Songelementen, Rhythmisierungen, Dynamikkontrasten, den vielen Möglichkeiten eben, Fließendes, Dramatisches, Vereinendes klanglich zu machen. Von Videoprojektionen unterstützt, endete „Pastorale re/visited – Klimawandel hören“ allerdings dann doch sehr typisch in einem Schluss-Chor, bei dem das Publikum mitsingen konnte. Viel Lob im Anschluss an die Aufführung. Die Zuhörer waren beeindruckt, die Hommage an die Natur war geglückt. Trotz Schnee im echten Leben.

Text und Foto (Fraser Trainer dirigiert Schlussakkord): Ralf Dombrowski

Festival: Out Of The Box

Dance, Dance, Jazz

Ein bisschen kurz vielleicht. Denn die Logik einer Dance Night speist sich auch aus der Idee, dass sich Musik über einen Abend hinweg entwickelt, aufbaut, um sich dann möglichst lang am Gipfelpunkt der Energie zu halten. Insofern ging es richtig los, als das Techno Jazz Sextett Slatec sich nach einer Dreiviertelstunde so gegen Mitternacht warm gespielt hatte, straight im Groove, mit zwei um Gesang und Posaune ergänzten Schlagzeugern, Perkussion und Bass klar am Zentrum der Körperlichkeit orientiert. Aber der Zeitplan reichte nur bis zu diesem Punkt, durchaus mit Hintersinn, denn das Out Of The Box Festival ist keine Blaupause des Clublebens, sondern ein Wegweiser der Impulse. Hier geht es lang, da kann man reinschauen, dort sich inspirieren lassen! Macht selbst weiter, die Tür ist geöffnet!

Auf diese Weise passte der ganze Abend gut zusammen. Denn vor Slatec teilten zwei weitere Bands das gleiche Konzept der Konzentration auf die Kraft des Moments. Organ Explosion beispielsweise kümmerten sich um die Reanimation eines Bandkonzepts aus den Sechzigern und sie hatten hörbar Spaß daran. Zum einen war es ein Nostalgieprogramm, das bis hin zum Shadows-Ohrwurm „Apache“ reichte, der mit eine Prise rhythmischen Humors aufgefrischt wurde. Auf der anderen Seite hatte es aber die Zeitlosigkeit des Lässigen, die mit viel popswingendem Nachdruck präsentiert wurde. Ark Noir als Opener ließen sich wiederum von der Mischung aus fusionjazziger Direktheit und klangeffektvoller Dramaturgie treiben. Ähnlich wie bei Slatec legten sie vor allem Fährten, die weiter in den Dschungel der Intensität führten. Man muss wiederkommen, bei nächster Gelegenheit. Die Anfänge sind gemacht.

Text und Foto (Ark Noir im Einsatz): Ralf Dombrowski

Festival: Out Of The Box

Eine Frage der Haltung

Jahrzehntelang war Konsens: Wer ein guter Jazzer werden wollte, sollte zunächst das Werk der Helden studieren. Das hatte seinen Sinn, führte aber auch dazu, dass Kohorten von Epigonen ausgebildet wurden, die eben klangen wie die Alten. Dann kamen die Nullerjahre mit zahlreichen Tendenzen der Relativierung und auch der Einsicht, dass junge Musiker längst nicht mehr mit Bebop sozialisiert wurden sondern mit Metal, Grunge oder auch Techno. Zeitverzögert sorgte diese Entwicklung dafür, dass einerseits an sich archaische Ensembleformen wie die Big Band wieder an Beliebtheit gewannen, sie aber andererseits mit neuen Inhalten gefüllt wurden. Gerade München preschte nach vorne mit Ensembles wie dem BamesreiterSchwartzOrchestra, den verschiedenen Projekten um die Bandleaderin Monika Roscher, dem Klassik-Crossover des Verworner-Krause-Kammerorchesters oder der Jazzrausch Bigband um den Posaunisten Roman Sladek.

Solche junge Großformationen haben mehrere Effekte. Zunächst arbeiten sie am Neuverständnis eines vorhandenen Sounds, vor allem aber sind sie Kollektive, aus denen sich viele weitere kleinere Bands entwickeln können. Eine davon ist Slatec, ein Septett, das die Idee der Techno-Dramaturgie mit Improvisation und einer pfiffigen Kombination von Natursounds und Klangeffekten verknüpft. Sie ist Teil drei der Dance Night im Technikum, die im Rahmen des Out Of The Box Festivals markante Projekte der heimischen Musikwelt in die Halle holt. Nummer zwei ist die Organ Explosion um den Hammond-Spezialisten Hansi Enzensperger, die sich mit viel Groove und Chuzpe dem Soul à la Sechziger, aber auch zeitnaheren Impulsen widmet. Ark Noir schließlich greifen in die Fusion-Kiste und bringen den Esprit des Jazzrocks mit Indie Sound und Electronics zusammen. Dreimal Musik, die sich nicht um Konventionen schert. Und die tanzbar aus dem Rahmen fällt.

Text und Foto (Roman Sladek im Chill-Modus): Ralf Dombrowski

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Mythen, Optionen

Beherzt greift Eric Mutel zur Motorsäge und schneidet die Stelen seiner Eis-Foto-Installation in Stücke. Ein Künstler ohne sentimentale Züge, aus Prinzip. Denn Vergänglichkeit ist ein Grundimpuls seines Konzepts: »Traurig bin ich nicht. Es gehört zu meiner Arbeit, dass die Dinge sich verändern. Wenn sie jetzt wegschmelzen und verschwinden, ist das ein Teil, das zu der Installation gehört. Deshalb fasziniert mich auch Eis als Werkstoff. Es ist hart und weich, ein widersprüchliches Material, dem man die Zeit ansieht. Ich experimentiere seit zwanzig Jahren damit, erst in kleinem Rahmen, dann immer größer. Ich arbeite auch mit anderen Materialien, meistens mit großen Installationen. Es gibt außerdem Projekte, die gar nichts mit Eis oder Ähnlichem zu tun haben, Videos zum Beispiel. Oder ich konzipiere Installationen mit Holz oder Stein. Wichtig sind mir jedoch immer der Kontrast und die Balance des Materials, wie es mit- und gegeneinander wirkt.«

Da passt es, am Ende die über Tage sorgsam hergestellten Fotostelen aus Eis, in deren Innerem eingearbeitete Schwarz-Weiss-Porträts bereits vom Schmelzprozess beeinflusst ihre Form verlieren, auch wieder einzureißen. Der Künstler interagiert mit seinem Werk und sorgt dafür, dass es nur noch in der Imagination besteht. Es schafft Mythen, Optionen, Denkanstöße. Und natürlich hat er auch ein wenig Spaß daran, das zu relativieren, was vorher Bedeutung suggerierte. Luigi Fontana ging mit dem Schwert auf die Leinwand los, Banksy ließ sein Bild durch den Schredder laufen, Eric Mutel dekonstruiert Kunst, indem er ihr ihre Endlichkeit gleich ins Stammbuch schreibt und noch ein wenig nachhilft. Damit ist er konzeptuell auch eine Fortsetzung der Ice Music auf anderer Ebene. Klänge aus Eis auf schmelzenden Instrumenten gespielt, die sich aufgrund der steten Veränderung des Materials nicht reproduzieren lassen. Bilder aus Eis, die ebenso unwiderruflich sich auflösen. Am Ende bleibt die Idee. Schick!

 

Text und Foto (Eric Mutel in Aktion): Ralf Dombrowski

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Naturgewalten, Kunsterleben

Eis hat seine Grenzen. Es ist nicht nur so vergänglich, dass die Techniker nach dem Konzert die Klangskulpturen und Instrumente in Folie verpacken und flugs in den Kühltrailer verfrachten. Es ermöglicht auch nur die Klänge, die ihm strukturgegeben bereits innewohnen. »Versteh mich nicht falsch,« erklärt der Trompeter und Eishornspieler Arve Henriksen. »Aber die Eismusik, die wir machen, ist eigentlich eher eine Installation. Denn aus der Perspektive des Musiker bieten beispielsweise die Eishörner wenig Variationsmöglichkeiten. Man muss mit der Stimmung arbeiten, die sie haben, es gibt keine Ventile, insofern hat das Ganze eher etwas Statisches. Aber das ist auf der anderen Seite auch der Reiz daran. Denn es geht um Atmosphären, um die Klangentfaltung, weniger um die Sololeistungen eines Einzelnen.«

Wie das klingt, konnte man gestern schon im mehrstöckigen Konzertatelier des München Hoch5 erleben. Wegen starker Böen in Windeseile von der Dachterrasse in den Innenraum umgezogen, entwickelte die Musik eine andere Faszination als am Vorabend, als der Auftakt des Out Of The Box Festivals im Schneegestöber unter freiem Himmel stattfand. Das von den norwegischen Weiten in die Stadt transferierte optisch-akustische Naturerleben verwandelte sich in eine klingende Meditation mit ausgeprägtem Kunstcharakter. Eigentlich etwas völlig anderes und doch klar verwandt mit der Wildheit des Eröffnungskonzerts. Arve Henriksen hatte außerdem beschlossen, trotz Eis und Elektronik auch seine Trompete einzusetzen. Und das wiederum passte auf seine Art perfekt zum Gedanken einer fluoreszieren, schillernden Installation. Denn der Norweger experimentiert selbst seit langem mit der Ausweitung der Soundgrenzen seines Instruments. Und sein gehauchter, manchmal wie eine Shakuhatchi klingender, dezent eingesetzter Trompetenton hätte auch von einem anderen Stern kommen können.

 

Text und Foto (Arve Henriksen mit Eishorn beim In-Door-Konzert): Ralf Dombrowski

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Handschuhe, Schneeflocken

Schneegestöber, verschärfte Bedingungen, wenn auch nicht so schlimm wie bei anderer Gelegenheit. »Im vergangenen Jahr habe ich mit Terje in Norwegen gespielt«, meint der schwedische Bassist Anders Jormin. »Minus 28 Grad. Einen Moment habe ich nicht aufgepasst und die Hand für zehn Sekunden am Griffbrett gelassen. Dabei sind die Finger angefroren. Das ist zwar wieder geheilt, aber der Körper erinnert sich an solche Erlebnisse. Wenn es dann beim nächsten Mal kalt ist, passiert so etwas viel schneller. Ich sollte eigentlich mit Handschuhen spielen.« Überhaupt ist es erstaunlich, dass Jormin für die Auftritte mit seinem norwegischen Extremmusikerkollegen auf sein angestammtes Instrument verzichtet. Schließlich wird der langjährige Stammbassist der Bobo Stenson Trios, den gerne auch Koryphäen wie Charles Lloyd oder Dino Saluzzi in ihre Projekte laden, zu den Meistern der klanglichen Feindifferenzierung, dessen voller, ausgreifender Ton zum Markenzeichen geworden ist.

Aber letztlich geht es genau um dieses Jonglieren mit Farben, die sich Saiten entlocken lassen. Denn das Eisinstrument, das Eric Mutel und sein Team für Jormin gebaut haben, reagiert so grundlegend anders als das Pendant aus Holz, so dass gerade in diesem Wechselspiel von Natur und Elektronik neue, ungewohnte Soundsphären entstehen. Im Fall der Ice Music gehört dazu auch der Licht- und Klangdesigner Asle Karstad, der den vergänglichen Instrumenten durch seinen präzisen Einsatz von elektronischen Erweiterungen zusätzliche Räume erschließt. Und so macht sich Anders Jormin gerne auf den Weg, um auf dem Dach von Werk 5 über das Wochenende verteilt Konzerte zu spielen. Das nächste, nach der Familienrunde am Nachmittag, heute Abend. Wenn es sein muss, dann zieht er eben Handschuhe an, und lässt sich vom Miteinander von Klang und Licht, Flocken und Flow der Musik treiben.

 

Text und Foto (Anders Jormin bem Ausprobieren seines Instruments): Ralf Dombrowski

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Kettensägen, Bügeleisen

Seit Tagen parkt ein Kühllaster vor der Tür. Auf der Rampe vor dem Werk 3 und auf dem Dach von Werk 5 sägen, schnitzen, modellieren ebenfalls seit Mitte der Woche mehrere Künstler und der Eismusiker selbst, um zum Festivalstart alles parat zu haben. »Manches kann ich aus Norwegen mitnehmen«, meint Terje Isungset, unbeeindruckt von der Kälte und mit einem Schmunzeln im Gesicht. »Aber viele Instrumente bauen wir vor Ort. Und daher bin ich immer sehr an lokalem Eis interessiert, denn künstliches Eis klingt nicht. Der Jahrgang 2013 zum Beispiel war ziemlich gut, damit kann ich viel machen«. Wirkt skurril, aber Terje Isungset ist ein Pionier der Nische, der weiß, was er macht. Seit rund zwei Jahrzehnten musiziert er mit der Kälte und konstruiert in diesem Fall einen Eis-Kontrabass ebenso wie verschiedene Hörner, Trompeten, Schlagwerke. Das ist spektakulär, nicht nur für das Publikum, sondern auch für die Organisatoren.

»Wir sind uns durchaus seltsam vorgekommen«, erinnert sich Martina Taubenberger, die künstlerische Leiterin der whiteBOX, die sich das Out Of The Box Festival ausgedacht hat. »Als wir mit unserer Bestellliste von 6 Tonnen Eis, 50 Metern massiver PVC-Plane, 3 Kettensägen und 2 Bügeleisen ankamen, zuzüglich 9.000 Liter Wasser für das Projekt Aquasonic, wirkte das eher wie der Auftakt zu einem Kettensägenmassaker, als zu einem Festival.« Aber inzwischen ist das meiste für das Wochenende mit der Eismusik verbaut und der Adrenalinpegel vor dem Festivalstart kann sich ein klein wenig senken. Die Zulieferer haben es durch die Schneemassen geschafft, die Künstler sind angekommen. An den letzten Verbindungen der Licht- und Soundtechnik wird geschraubt und der Eisbildhauer Eric Mutel hat seine Stelen um das Konzertgelände auf dem Dach von Werk 5 herum aufgebaut. Das Wetter ist gnädig, schickt keinen Fön ins Land und verspricht stattdessen stilechten Schneefall. Out Of The Box kann beginnen und wer zuhören, zusehen will, sollte ich warm anziehen.

Text und Bild (Martina Taubenberger, Terje Isungset): Ralf Dombrowski

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Ganz weit draußen

Irrwitz wagen. Eigentlich ist das als Maxime selbstverständlich, wenn man etwas veranstalten will, was über die Buchung von Tourneekünstlern oder auch die Inszenierung von Naheliegendem hinausgeht. Trotzdem ist inhaltliches Risiko im nicht subventionierten Kulturbetrieb selten. Das hat häufig finanzielle Gründe, aber manchmal fehlen auch die Visionen. Und das wiederum ist Martina Taubenberger ein Rätsel. Denn überall warten Ideen auf Entdeckung und Umsetzung. Seit einem Jahrzehnt ist die promovierte Kulturmanagerin auf vielen Baustellen unterwegs, berät Unternehmen, Städte und Gemeinden, konzipiert Festivals, coacht und inszeniert, kommuniziert, vernetzt, synergiert.

Als im Sommer 2016 die whiteBOX im Münchner Werksviertel als offener Kulturraum an den Start ging, übernahm sie die künstlerische Gesamtleitung und bringt seitdem eine fulminante Mischung aus Steetart, Foto- und Lichtkunst, Ausstellungen, Education-Projekten, Klang- und Körperkunst, Performance und Nachhaltigkeit in die Stadt. Es ist ein dickes Paket der Wagnisse, jedesmal ein Abenteuer für die whiteBOX selbst und ihr Publikum. Aber die Projekte vom Street Dance Festival und dem Jugendorchesterfestival »Auftakt« über die Interkulturelle Musikperformance »I Exist – nach Rajasthan« oder auch Aline Brugels Fotoplakataktion »Corps In Situ In City« bis hin zum »Graffitimuseum – Inventarium« oder auch dem Kompositionsauftrag »Das Leuchtturmprojekt (Epilog im Himmel)« bewähren sich und haben aus der whiteBOX in rasanter Geschwindigkeit einen zentralen Ort der Kreativkultur in München gemacht.

Und sie bestärken Martina Taubenberger und ihr Team, noch einen Schritt weiter zu gehen, wie mit dem Festival »Out Of The Box«. Als Thema über den Veranstaltungen im Januar steht »Klingende Naturgewalten« und da wiederum ist Wasser in seinen unterschiedlichen Aggregats- und Schwingungszuständen das Zentrum. Den Ausgangspunkt bildet Terje Isungset. In den Achtzigern trommelte der norwegische Perkussionist in verschiedenen Jazzbands, war aber nicht glücklich mit den Möglichkeiten des Ausdrucks, die sich ihm boten. Für ihn war alles Klang, nicht nur das Set, das auf der Bühne stand, und so begann er, Naturmaterialien für seine Sounds zu verwenden. Isungset trommelte auf Holz, Fels und entdeckte zu Beginn des vergangenen Jahrzehnts das Eis für sich als Klangkörper. Zunächst nur für das Winterfestival 1999 in Lillehammer als Projekt beauftragt, entwickelte der vergängliche Werkstoff für ihn eine enorme akustische Faszination. Erste Aufnahmen entstanden, bald darauf rief er 2006 in Geilo das erste Eismusik-Festival ins Leben.

Seitdem tourt er mit seinen selbst geschnitzten und geformten Instrumenten durch die Welt, als Musiker, aber auch als Botschafter für mehr Sorgfalt im Umgang mit den natürlichen Ressourcen dieser Erde. Im Rahmen von „Out Of The Box“ wird er am 11., 12. und 13.Januar jeweils um 20 Uhr und zusätzlich für Kinder und Familien (12.01., 15 Uhr) open air auf dem Dach des Gebäudes (Hoch5) Konzerte geben, unterstützt von grandiosen KollegInnen wie der Sängerin Maria Skranes, dem Trompeter Arve Henriksen, dem Bassisten Anders Jormin und dem Gesangensemble Trio Mediaeval. Neben den Eis-Instrumenten entsteht auf dem Dach außerdem ein vergänglicher Skulpturenpark des französisch-schweizerischen Fotografen und bildenden Künstlers Eric Mutel, der das Dachgeschoss des Hoch5 mit zahlreichen Stelen ausstatten wird, die nach den jeweiligen Konzerten eingehend besichtigt werden können.

Den zweiten Teil des Festival bestreiten Musiker aus Dänemark. Sie teilen Isungsets Begeisterung für Wasser, jedoch auf andere Weise. Denn das Ensemble »AquaSonic« spielt Musik unter Wasser. Dafür wurden in Zusammenarbeit mit Tiefseetauchern, Instrumentenbauern und Forschern eigens Instrumente entwickelt, die sie in verschiedenen Tanks in der White Box präsentieren und spielen werden. Drei Abendkonzerte (25. / 26. / 27.01., 20 Uhr) und eine Matinee (27.01., 11 Uhr) sind geplant und das Hörerlebnis ist so ungewöhnlich, dass sich seit der Premiere 2016 bislang kaum jemand der Ausstrahlung von »AquaSonic« entziehen konnte.

Teil drei von »Out Of The Box« bezieht sich auf das Verhältnis von Klang im Raum. Über den Konzerten und Performances vom 31.Januar bis zum 2.Februar steht das Thema »Digitale Poesie« und ein sehr unterschiedliches Team von KünstlerInnen wird diese Relationen aus verschiedenen Perspektiven einkreisen. Der Klarinettist Claudio Puntin und die Videokünstlerin Alba G. Corral loten zu Beginn (31.01., 20 Uhr) die Beziehungsgeflechte von Improvisation, Sound, Licht und Bild aus. Am folgenden Abend stellt der Lichtkünstler Kurt Laurenz Theinert sein »Visual Piano« (01.02., 20 Uhr) vor, eine Verknüpfung von Rauminstallation und Soundentfaltung, gefolgt und abgerundet von Ralf Schmids »Pyanook« (02.02., 20 Uhr), einer interaktiven Klangvideoperformance.

Neben diesen ungewöhnlichen Klangprojekten hat »Out Of The Box« auch sehr haptische und physische Momenten zu bieten. Denn am 19.Januar wird nebenan im Technikum gefeiert, die »Out Of The Box Dance Night« mit den drei in der heimischen Szene sehr angesagten Projekten Organ Explosion, Ark Noir und Slatec. Mit der „Pastorale re/visited“ (20.01., 15 Uhr) wird außerdem das Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks als eigenes Projekt zusammen mit Komponisten, einer Videokünstlerin und Schülern Beethovens 6.Symphonie mit den Themen Natur, Klima und Veränderung verbinden. Und die meisten der Klangkünstler laden außerdem zu Kinderkonzerten ein, schließlich gibt es genug Außergewöhnliches zu entdecken. Irrwitz, Risiko wagen. Für die whiteBOX und das Taubenberger Team ist »Out Of The Box« das bislang verrückteste Projekt. Aber es weist über die Normalität hinaus. Und kalt genug für einen fulminanten Start soll es ja schon mal bleiben.

Text: Ralf Dombrowski

Der Text erschien ursprünglich in der Kulturzeitung Münchner Feuilleton unter Münchner Feuilleton

Festival-Website: Out Of The Box